Theoretischer Hintergrund und Forschungsstand
Immer häufiger werden Unterrichtsvideos in der Lehrer:innenbildung eingesetzt (Steffensky & Kleinknecht, 2016). Anhand von Videografien können Lehramtsstudierende beispielsweise Unterricht von fremden Lehrkräften analysieren. Die Herstellung von Praxisbezug und die Verringerung von trägem Wissen sind dabei nur einige Argumente, die den Einsatz von Unterrichtsvideos begründen (Brophy, 2004). Zunehmend werden Unterrichtsvideos im Studium auch virtuell und asynchron analysiert (Vohle & Reinmann, 2012). Diesem Online-Setting werden, neben den allgemeinen Vorteilen des Einsatzes von Unterrichtsvideos, spezifische Chancen zugesprochen (Hess, 2021; Vohle & Reinmann, 2012). So kann unter anderem der eigene Lernprozess flexibler organisiert und gestaltet werden (Griesehop, 2017). Allerdings hängt die Wirksamkeit der virtuellen Analyse von Unterrichtsvideos von deren konkreter Ausgestaltung ab (Seago, 2004). Besonderes Potenzial wird dabei dem gemeinsamen Austausch unter den Studierenden zugeschrieben (Hess, 2021; Krammer, 2014). Dieser kann zum Beispiel anhand zeitmarkenbasierter Annotationen, bei denen die Teilnehmenden an relevanten Stellen das Video stoppen und (re-)kommentieren, erfolgen (Krüger, Steffen & Vohle, 2012).

Fragestellung
Da bislang nicht untersucht wurde, inwiefern Grundschullehramtsstudierende bei der virtuellen Analyse von Unterrichtsvideos miteinander interagieren, wird dieser Frage im Projekt „ViUVi“ nachgegangen. Zudem wird die Wirksamkeit des Austauschs und zeitmarkenbasierter Annotationen hinsichtlich des Erwerbs von professioneller Wahrnehmung sowie der Selbstwirksamkeit in Bezug auf Klassenführung erfasst und die Sichtweise der Studierenden erhoben.

Methode
Im Rahmen einer quasi-experimentellen Studie wurden vier Gruppen, bestehend aus insg. N= 160 Grundschullehramtsstudierenden (88.8% weiblich, Alter: M=21.46, SD=3.13, Semester: M=3.34, SD=0.84) in einem Grundlagenmodul der Universität Bamberg, mit jeweils verschiedenen Settings zur virtuellen Analyse von Unterrichtsvideos, verglichen (mit und ohne Austausch, mit und ohne zeitmarkenbasierte Annotationen). Zur Überprüfung der Wirksamkeit der verschiedenen Settings wurde durch ein videobasiertes standardisiertes Testverfahren (Gold & Holodynski, 2017) die professionelle Wahrnehmung der Studierenden jeweils vor und nach der Intervention gemessen. Anhand eines selbst entwickelten Instruments wird auch die Selbstwirksamkeit in Bezug auf Klassenführung vor und nach der Intervention erhoben. Im Rahmen der Post-Erhebung wird zusätzlich die Sichtweise der Studierenden, beispielsweise hinsichtlich des Unterstützungspotenzials durch den Austausch und der zeitmarkenbasierten Annotationen erfasst. Um die Interaktion der Studierenden bei den Videoanalysen zu beurteilen, wurden die Analysen inhaltsanalytisch ausgewertet.

Ergebnisse und Diskussion der Ergebnisse
In den Beurteilungen der Studierenden zeigt sich, dass sie den Austausch als hilfreich einschätzen. Sie begründen dies häufig damit, dass andere Studierende neue Aspekte in den Videos wahrnehmen (z.B. „Manchmal entdeckten Kommiliton:innen Aspekte, die einem selbst nicht auffallen“). Außerdem verweisen sie auf einen Mehrwert durch verschiedene Einschätzungen. Beispielsweise schreibt eine Person: „Somit erhält man einen Einblick in Sichtweisen und Erfahrungen von anderen“.
Inwieweit tatsächlich neue Aspekte oder verschiedene Einschätzungen in den Videoanalysen von den Studierenden eingebracht wurden, soll im Rahmen des Dikule Symposiums vorgestellt werden. Erste Ergebnisse der Auswertung der Analysen zeigen beispielsweise, dass die Interaktion vorwiegend aus neuen Beiträgen und der Bestätigung vorhandener Beiträge besteht.

Literatur
Brophy, J. (Hrsg.). (2004): Using video in teacher education. Amsterdam: Elsevier.
Gold, B. & Holodynski, M. (2017): Using digital video to measure the professional vision of elemantary classoom management: Test validation and methodological challenges. In: Computers & Education, 107, 13-30.
Griesehop, H. R. (2017): Wege in die Online-Lehre: Wie lassen sich Lehrende gewinnen und motivieren? In: H. R. Griesehop & E. Bauer (Hrsg.): Lehren und Lernen online. Lehr- und Lernerfahrungen im Kontext akademischer Online-Lehre. Wiesbaden: VS, 67-80.
Hellermann, C., Gold, B. & Holodysnki, M. (2015): Förderung von Klassenführungsfähigkeiten im Lehramtsstudium. Die Wirkung der Analyse eigener und fremder Unterrichtsvideos auf das strategische Wissen und die professionelle Wahrnehmung. In: Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 47(2), 97-109.
Hess, M. (2021): „Man vergisst nicht den Bezug zur Praxis.“ Das Lernen mit Videos in der digitalen Lehrerbildung aus Studierendensicht. In: Lehrerbildung auf dem Prüfstand, 14(1), 52-79.
Krammer, K. (2014): Fallbasiertes Lernen mit Unterrichtsvideos in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung. In: Beiträge zur Lehrerinnen- und Lehrerbildung, 32(2), 164-175.
Krüger, M., Steffen, R. & Vohle, F. (2012): Videos in der Lehre durch Annotationen reflektieren und aktiv diskutieren. In: G. Csanyi, F. Reichl & A. Steiner (Hrsg.): Digitale Medien – Werkzeuge für exzellente Forschung und Lehre. Müster u.a.: Waxmann, 198-210.
Seago, N. (2004): Using video as an object of inquiry for mathematics teaching and learning. In: J. Brophy (Hrsg.): Using video in teacher education. Amsterdam: Elsevier, 259-285.
Steffensky, M. & Kleinknecht, M. (2016): Wirkungen videobasierter Lernumgebungen auf die professionelle Kompetenz und das Handeln (angehender) Lehrpersonen. Ein Überblick zu Ergebnissen aus aktuellen (quasi-)experimentellen Studien. In: Unterrichtswissenschaft, 44(4), 305-321.
Vohle, F. & Reinmann, G. (2012): Förderung professioneller Unterrichtskompetenz mit digitalen Medien: Lehren lernen durch Videoannotationen. In: Jahrbuch Medienpädagogik, 9, 413-430.