Knodt, JanaJanaKnodt2020-01-232020-01-232019https://fis.uni-bamberg.de/handle/uniba/46746Dissertation, Otto-Friedrich-Universität Bamberg, 2019Zusammenfassung Die in der vorliegenden Arbeit dargestellten Studien untersuchen die Zusammenhänge von Bedrohung, Angst und Stress sowie von Angstbewältigung mit Achtsamkeit, Akzeptanz, Selbstmitgefühl und Erlebensvermeidung. In der jüngeren Forschung wurde vermehrt der Einfluss achtsamkeitsorientierter Konstrukte auf Wohlbefinden, Stress und Angstbewältigung erforscht und auch in der psychologischen und psychotherapeutischen Praxis steigt das Interesse an Trainings und Verfahren, die diese Konstrukte für gesunde Menschen und Menschen mit psychischen Störungen nutzbar machen. Um Zusammenhänge dieser Konstrukte mit Angstbewältigung überprüfen zu können, wurde das bestehende Angstbewältigungs-Inventar (ABI; Krohne & Egloff, 1999) um 16 Items erweitert. So sollten neben den beiden im ABI erfassten Konstrukten kognitive Vermeidung und Vigilanz auch Achtsamkeit, Akzeptanz und Selbstmitgefühl als Bewältigungsstrategien messbar gemacht werden. Erweitert wurde in der vorliegenden Arbeit der Teil des ABI, der selbstwertbedrohliche Situationen erfasst (ABI-E, E für „ego-threat“). Das ABI beruht auf dem Modell der Bewältigungsmodi (MBM; Krohne, Hock & Kohlmann, 1992). Demnach neigen Menschen, die Schwierigkeiten mit dem Tolerieren eigener Erregung und der Wahrnehmung eigener Angst haben, in potenziell bedrohlichen Situationen zu kognitiver Vermeidung. Hiermit ist die Tendenz gemeint, sich gedanklich abzulenken und beispielsweise auf einen „guten Ausgang“ von Situationen zu hoffen. Menschen, die intolerant gegenüber Unsicherheit sind, neigen stattdessen zu Vigilanz, der verstärkten Aufmerksamkeit potenziell bedrohlichen Reizen gegenüber. Achtsamkeitsbasierte Strategien wiederum beinhalten die Idee, Situationen und dem eigenen inneren Erleben „wertfrei“ und beobachtend (achtsam), akzeptierend und mit Mitgefühl der eigenen Person gegenüber zu begegnen. Statt sich also in bedrohlichen Situationen gedanklich abzuwenden (wie bei der kognitiven Vermeidung) oder die Aufmerksamkeit verstärkt auf die bedrohliche Situation zu richten (wie bei Vigilanz), wird bei achtsamkeitsbasierten Konstrukten der Fokus anders ausgerichtet: Hier geht es um eine Form der Aufmerksamkeit, die mehr auf den aktuellen Moment an sich und damit auf die Akzeptanz und die selbstmitfühlende Bewältigung dieses Moments gerichtet ist. Im Rahmen der Fragebogenerweiterung ließen sich nach einer ersten explorativen Faktorenanalyse und anschließender Kreuzvalidierung mit einer konfirmatorischen und einer weiteren explorativen Faktorenanalyse die dem ABI-E hinzugefügten 16 neuen Items drei zusätzlichen Faktoren zuordnen. Hypothesenkonform fanden sich die Faktoren Achtsamkeit und Akzeptanz. Der dritte Faktor, Selbstmitgefühl, konnte nicht wie erwartet bestätigt werden. Die Items des dritten extrahierten Faktors ließen sich aufgrund inhaltlicher und theoretischer Überlegungen besser dem Konstrukt der Erlebensvermeidung zuordnen. Erlebensvermeidung meint die Tendenz von Personen, eigenes inneres Erleben zwar deutlich wahrzunehmen, aber unterdrücken zu wollen. Das Konstrukt kann, wie Achtsamkeit und Akzeptanz, ebenso den achtsamkeitsbasierten Theorien (Hayes, Wilson, Gifford, Folette & Strosahl, 1996) zugeordnet werden. So entstand die neue Fragebogenversion ABI-Mindfulness (ABI-MIND) mit drei neuen Skalen zur Erfassung achtsamkeitsbasierter Strategien der Angstbewältigung: Achtsamkeit, Akzeptanz und Erlebensvermeidung. Die bisherigen Skalen kognitive Vermeidung und Vigilanz bleiben bestehen, so dass das ABI-MIND fünf Skalen umfasst. Das ABI-MIND stellt das erste Situations-Reaktions-Inventar zur gemeinsamen Erfassung von Angstbewältigung und achtsamkeitsbasierten Konstrukten dar. Strategien der Angstbewältigung werden mit diesem Instrument, wie auch beim ABI, in Bezug auf mehrere vorgestellte Situationen untersucht. Insgesamt werden insbesondere Achtsamkeit, Akzeptanz und Selbstmitgefühl als funktionale Strategien im Umgang mit Angst aufgefasst, die, ähnlich wie kognitive Vermeidung, mit geringer Angst assoziiert sind. Vigilanz stellt hingegen eine Bewältigungsstrategie dar, die durch die verstärkte Zuwendung zu möglicherweise bedrohlichen Reizen das Angsterleben verstärken kann. Ähnliches wird für Erlebensvermeidung angenommen. Zwar soll bei der Erlebensvermeidung inneres Erleben in Situationen unterdrückt werden, zunächst wird es aber, um es nach Möglichkeit unterdrücken zu können, sogar verstärkt wahrgenommen. Zur Prüfung dieser Annahmen wurden die Zusammenhänge unter den ABI-MIND-Skalen bestimmt. Hierbei zeigte sich ein moderat negativer Zusammenhang zwischen den Skalen kognitive Vermeidung und Vigilanz. Unter den drei neuen Skalen hingen Achtsamkeit und Akzeptanz moderat positiv zusammen. Erlebensvermeidung ist moderat negativ mit Akzeptanz und stark negativ mit Achtsamkeit assoziiert. Kognitive Vermeidung hängt hinsichtlich der neuen Skalen vor allem stark positiv mit Akzeptanz und moderat positiv mit Achtsamkeit zusammen, mit Erlebensvermeidung hingegen moderat negativ. Vigilanz ist stark positiv mit Erlebensvermeidung assoziiert und moderat negativ mit Achtsamkeit. Zwischen Vigilanz und Akzeptanz zeigte sich kein Zusammenhang. Im Rahmen einer Testwiederholung nach 4 bis 8 Wochen mit dem ABI-MIND wurde eine hohe Stabilität der Messwerte gefunden. Eine Latent-State-Trait-Analyse konnte zudem erwartungskonform zeigen, dass die drei neuen Skalen des ABI-MIND hauptsächlich zeitlich stabile Eigenschaften messen. Einzig die Skala Achtsamkeit weist wie angenommen auch größere situativ variable Anteile auf. Die Neufassung des Fragebogens wurde des Weiteren anhand ausgewählter weiterer Fragebögen validiert und Zusammenhänge mit achtsamkeitsbasierten Konstrukten, Stress, Ängstlichkeit, Depressivität und weiteren Persönlichkeitseigenschaften wurden untersucht. Hypothesenkonform zeigten sich hierbei im Sinne der konvergenten Validität Zusammenhänge der Skalen der ABI-MIND-Skalen mit Skalen aus Fragebögen zur Erfassung von Achtsamkeit, Akzeptanz und Erlebensvermeidung sowie deren Gegenpolen (AAQ-19-R; Eifert & Forsyth, 2008; ASQ; Graser et al., 2012; BAFT; Herzberg et al., 2012; FFA-14; Walach, Rose, Buttenmüller, Kleinknecht & Grossmann, 2009; FAH-II; Gloster, Klotsche, Chaker, Hummel & Hoyer, 2011; FFMQ-D; Michalak et al., 2016; MAAS, Brown und Ryan, 2003 und SCS-D; Hupfeld und Ruffieux, 2011). Keine bzw. geringe Zusammenhänge zeigten sich hingegen mit Fragebögen und deren Skalen, die andere, nicht auf Achtsamkeit bezogene Konstrukte erfassen. Kritische Lebensereignisse und die wahrgenommene Belastung durch diese, wie sie mit der Social-Readjustment-Skala (SRRS; Holmes & Rahe, 1967) gemessen werden können, wurden vermehrt von vigilanten und erlebensvermeidenden Personen berichtet. Geringere Belastung durch kritische Lebensereignisse gaben Personen an, die hohe Werte auf den ABI-MIND-Skalen kognitive Vermeidung, Achtsamkeit und Akzeptanz und erreichten. Die ABI-MIND-Skalen kognitive Vermeidung, Achtsamkeit und Akzeptanz sind mit der Belastung durch kritische Lebensereignisse und mit chronischem Stress (SCSS; Schulz, Schlotz & Becker, 2004) moderat negativ assoziiert. Moderate bis starke positive Zusammenhänge mit chronischem Stress zeigten sich mit den ABI-MIND-Skalen Erlebensvermeidung und Vigilanz. Mit dem Stressverarbeitungsfragebogen (SVF 120; Janke, Erdmann & Kallus, 2002) zeigten sich vielfältige, vorwiegend hypothesenkonforme Zusammenhänge. Es ergaben sich durchschnittlich moderat hohe Assoziationen von Akzeptanz und kognitiver Vermeidung mit den sogenannten „Positivstrategien“ (z.B. Entspannung, Selbstbestätigung oder positive Selbstinstruktion) sowie schwache bis moderat negative Zusammenhänge mit den sogenannten „Negativstrategien“ des SVF 120 (z.B. Selbstbeschuldigung, Selbstbemitleidung oder Resignation). ABI-MIND-Achtsamkeit ist moderat negativ mit den Negativstrategien des SVF 120 verbunden und steht kaum in Zusammenhang mit den SVF 120-Positivstrategien. Es ergaben sich insgesamt moderate bis starke positive Assoziation der ABI-MIND-Skalen Vigilanz und Erlebensvermeidung mit den Negativstrategien des SVF 120, mit den Positivstrategien zeigten sich für die beiden ABI-MIND-Skalen dagegen weniger klare Zusammenhänge. Zusammenhänge mit Ängstlichkeit, Depression und weiteren Persönlichkeitsmerkmalen fielen ebenso weitgehend hypothesenkonform aus. Besonders deutlich sind Zusammenhänge der ABI-MIND-Skalen mit Ängstlichkeit, Depressivität (erfasst mit dem STADI-Trait: Laux et al., 2013, und mit dem BDI-V: Schmitt & Maes, 2000) und Neurotizismus (erfasst mit dem NEO-FFI; Borkenau & Ostendorf, 2008). Es zeigten sich moderate bis starke negative Zusammenhänge mit den eben genannten Konstrukten und den ABI-MIND-Skalen kognitive Vermeidung, Achtsamkeit und Akzeptanz, mit den Skalen Vigilanz und Erlebensvermeidung fielen sie hingegen moderat bis stark positiv aus. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Konstruktvalidität des ABI-MIND gegeben ist, da im Sinne der konvergenten Validität Zusammenhänge mit Verfahren aufgezeigt werden konnten, die ähnliche Konstrukte erfassen, während die diskriminante Validität durch niedrige Zusammenhänge mit Verfahren zur Messung nur lose verwandter Konstrukte belegt wurde (z.B. zeigten sich nur sehr geringe Assoziationen der ABI-MIND-Skalen mit NEO-FFI-Gewissenhaftigkeit). Lebenszufriedenheit, erfasst über die SWLS (Glaesmer, Grande, Braehler, & Roth, 2011), zeigte wie erwartet moderat positive Zusammenhänge mit den ABI-MIND-Skalen kognitive Vermeidung und Akzeptanz und war moderat negativ mit Erlebensvermeidung assoziiert. Im Sinne der diskriminanten Validität fielen die Zusammenhänge zwischen den ABI-MIND Skalen und dem Gesamtscore des GQ-6 (McCullough, 2013) zur Erfassung von Dankbarkeit sehr gering aus. Im Rahmen der Untersuchung einer klinischen Stichprobe wurde Probandinnen und Probanden mit affektiven Störungen das ABI-MIND vorgelegt und deren Angstbewältigungsstile mit denen einer nicht-klinischen Stichprobe verglichen. Hierbei ergab sich hypothesenkonform, dass sich bei der klinischen Stichprobe niedrigere Werte für kognitive Vermeidung, Akzeptanz und Achtsamkeit als in der nicht-klinischen Stichprobe zeigten. Ebenso hypothesenkonform zeigten sich in der klinischen Stichprobe höhere Werte für Vigilanz und Erlebensvermeidung als in der nicht-klinischen Stichprobe. Die Häufigkeit, in der Übungen zur Stärkung der eigenen Achtsamkeit durchgeführt wurden, war bei der klinischen Stichprobe im Vergleich zur nicht-klinischen etwas stärker ausgeprägt, dieser Zusammenhang fiel jedoch insignifikant aus. Zuletzt werden die Ergebnisse aller Studien der vorliegenden Arbeit und deren Implikationen für die diagnostische und klinische Praxis sowie für den Einsatz des ABI-MIND in der Forschung auch in Bezug auf zugrundeliegende Theorien diskutiert. Das ABI-MIND schafft erstmals die Möglichkeit, achtsamkeitsbasierte Bewältigungsstrategien mit einem Situations-Reaktions-Inventar zu erfassen. Bei der Fragebogenkonstruktion und Skalenzuordnung der Items wird insbesondere die Konzeption der Skala Achtsamkeit kritisch beleuchtet und diskutiert. Als besonders hervorzuhebende Befunde der Arbeit sind die Ergebnisse der Latent-State-Trait-Analysen zu bewerten, da Stabilitätsprüfungen dieser Art bisher nicht bei Situations-Reaktions-Inventaren durchgeführt wurden. Mögliche Ansatzpunkte für weitere Forschung im Bereich der Coping-Forschung werden benannt und diskutiert. In Forschung und Prävention, Beratung und im therapeutischen Setting könnte das ABI-MIND auch zur Einzelfalldiagnostik eingesetzt werden und auch dazu beitragen, spezifische und individuelle Ansatzpunkte für Interventionen zu definieren.deuABI-MIND, Angstbewältigungs-Inventar, Angstbewältigung, Stressbewältigung, Bedrohung, Angst, Stress, Achtsamkeit, Akzeptanz, Erlebensvermeidung, Selbstmitgefühl, kognitive Vermeidung, Vigilanz,Situations-Reaktionsinventar, Latent-State-Trait-Analyse, Kontextualisierte Erfassung, Fragebogenerweiterung, Fragebogenvalidierung, Mindfulness, Acceptance, Coping with anxiety, experiential avoidance, vigilance, threat, ABI-E, ABI, Modell der Bewältigungsmodi, MBM, Aufmerksamkeitslenkung, achtsamkeitsbasiert, state, trait, situationsbezug150Die Bewältigung von Bedrohung, Angst und Stress : Achtsamkeit, Akzeptanz und Erlebensvermeidung als CopingstrategienCoping with Threat, Anxiety, and Stress: Mindfulness, Acceptance, and Experiential Avoidance as Coping Strategiesdoctoralthesisurn:nbn:de:bvb:473-irb-467469