Hoffjann, OlafOlafHoffjann0000-0002-4049-4581Haidukiewicz, OliverOliverHaidukiewicz2019-09-192019-07-092019https://fis.uni-bamberg.de/handle/uniba/45804Wenn Journalisten über Blogs schreiben oder darüber befragt werden, dann dominiert zumeist ein abschätziger Blick auf diesen „kommunikativen Krimskrams“ (Reichwein 2017). Die Kommunikationswissenschaft teilt diese Perspektive, wenn sie Blogger als Amateurjournalisten (Neuberger 2017), Bürgerjournalisten (Bosshart 2017) oder Graswurzeljournalisten (Gillmor 2006) bezeichnet. Damit wird ein kategorialer Unterschied zwischen professionellen Journalisten einerseits und journalistischen Bloggern andererseits konstruiert, der dazu führt, dass vor allem das Trennende auffällt. Mögliche Gemeinsamkeiten beziehungsweise Ähnlichkeiten geraten dadurch von Anfang an ins Abseits. Deshalb setzt diese Studie einer solchen Differenzperspektive eine Einheitsperspektive entgegen: Professioneller Journalismus und journalistische Blogs werden beide als journalistische Angebote verstanden. Diese funktionale Gemeinsamkeit ist der Ausgangspunkt, um nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen beiden zu suchen. Die vorliegende Studie geht damit von der Vermutung aus, dass viele der sichtbaren Technik-, Mode-, Koch- oder Reiseblogs journalistische Blogs sind, weil sie publizistische Kriterien wie redaktionelle Autonomie, Aktualität oder Periodizität erfüllen. Das führt zu der ergänzenden Frage: Sind die jeweils sehr heterogenen Gruppen der journalistischen Blogger auf der einen Seite und der professionellen Journalisten auf der anderen Seite in sich homogener als Blogger und Journalisten eines Themenfeldes? Konkret: Ist ein Modeblogger einem Politikblogger näher oder einem Modejournalisten? Damit ist auch abgesteckt, wofür sich diese Studie nicht interessiert: weder für Influencer, die Plattformen wie Instagram oder YouTube nutzen, noch für nichtjournalistische Blogger wie Corporate Blogger oder Privatpersonen, die über ihre Hochzeitsreise oder Ähnliches nur für Freunde bloggen. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit werden in dieser Studie journalistische Blogger in der Regel verkürzt als Blogger und professionelle Journalisten als Journalisten bezeichnet. In der Wissenschaft steht einer umfassenden Erforschung des professionellen Journalismus eine stark wachsende Zahl an Studien zu Blogs beziehungsweise Bloggern gegenüber. In der Regel sind dies aber Studien, die sich entweder auf die journalistische oder auf die Bloggerseite, entweder auf die Kommunikator- oder auf die Publikumsseite konzentrieren. Unsere Studie verfolgt hingegen eine integrierte und komparative Perspektive. Sie ist komparativ, weil journalistische Blogs und professioneller Journalismus gleichermaßen untersucht werden. Sie ist integriert, weil sie sowohl die Kommunikator- als auch die Publikumsperspektive untersucht. Empirisch wurden dazu 936 professionelle Journalisten und 463 journalistische Blogger in einer Onlinebefragung sowie zusätzlich 20 Blogger in Experteninterviews und 156 Nutzer in einer ergänzenden Publikumsbefragung befragt. Die wichtigsten Befunde dieser Studie werden im Folgenden kurz skizziert. (1) Journalisten sprechen journalistischen Bloggern jegliche journalistische Relevanz ab. Die Onlinebefragung bestätigt den Eindruck kritischer Berichte zu Blogs: Professionelle Journalisten bewerten Blogs insgesamt negativ. Nur jeder fünfte Journalist gesteht Blogs zu, dass man dort relevante Informationen bekomme, die man in traditionellen Medien kaum finden würde. Zudem bemängeln viele Journalisten eine zu unkritische Berichterstattung in Blogs. Selbst einen authentischen Blick auf die Themen gestehen nur wenige Journalisten Bloggern zu. Weitgehend einig sind sich beide Gruppen lediglich darin, dass der Erfolg der Blogs vor allem auf die Unzufriedenheit mit den traditionellen Medien zurückzuführen sei. Umgekehrt bewerten Blogger den professionellen Journalismus deutlich positiver. Fast alle Blogger schätzen den Journalismus, nur wenige sind der Meinung, dass professionelle Journalisten zu unkritisch berichteten. (2) Blogger sind schlechter ausgebildet, jeder dritte ist ein Berufsblogger. Jeder dritte journalistische Blogger verdient mit dem Bloggen Geld, arbeitet mehr als zwanzig Stunden pro Woche als Blogger – und kann damit als ‚Berufsblogger’ bezeichnet werden. Einnahmen und Arbeitszeit scheinen bei vielen Bloggern in keinem guten Verhältnis zueinander zu stehen: Etwa jeder achte Blogger ohne Einnahmen aus Blogs investiert dreißig und mehr Stunden pro Woche in seinen Blog. Wenig überraschend ist, dass Blogger journalistisch deutlich schlechter ausgebildet sind als professionelle Journalisten – immerhin hat etwa jeder siebte ein kommunikations- oder medienwissenschaftliches Studium abgeschlossen. In Bezug auf die Journalisten zeigt ein Vergleich mit früheren Studien, dass das Praktikum in den vergangenen zehn Jahren deutlich an Relevanz verloren hat – trotz der viel diskutierten „Generation Praktikum“ (Stolz 2005). Bei den Tätigkeiten zeigt sich, dass Blogger im Gegensatz zu Journalisten jenseits des Internets kaum recherchieren, dafür unter anderem mehr Zeit in nichtjournalistische Tätigkeiten wie PR und Vermarktung investieren. (3) Beide wollen informieren, Journalisten eher kritisieren, Blogger eher unterhalten. Was wollen Blogger und professionelle Journalisten erreichen? Beide wollen vor allem informieren und vermitteln. Unterschiede zeigen sich darin, dass etwa jeder zehnte Blogger, aber knapp vierzig Prozent der Journalisten kritisieren und kontrollieren wollen, während jeder dritte Blogger – und damit deutlich mehr als Journalisten – unterhalten und Service anbieten will. Auffallend sind die Gemeinsamkeiten bei den fünf wichtigsten Zielen journalistischer Arbeit: Mit der Richtigkeit der Informationen, der Glaubwürdigkeit, der Erklärungskompetenz und der Unabhängigkeit der Berichterstattung sind vier von fünf Zielen in beiden Gruppen identisch. Dabei zeigt sich, dass es im Grunde nur zwei Items gibt, die völlig unterschiedlich bewertet werden, im Kern aber zwei Seiten derselben Medaille sind: die Neutralität beziehungsweise die persönliche Perspektive, die Bloggern deutlich wichtiger ist als Journalisten. Dennoch zeigt der Katalog der insgesamt 29 Ziele auch die zentralen Unterschiede zwischen Bloggern und Journalisten auf: Blogger wollen persönlicher, unterhaltender und literarischer schreiben, sie suchen einen direkteren Draht zum Publikum. Journalisten hingegen sind aktuelle, relevante und exklusive Informationen und vielfältige Meinungen wichtiger, zudem wollen sie neutraler und kritischer berichten und sich mehr für Benachteiligte einsetzen als Blogger. (4) Journalisten ist Qualität etwas wichtiger als Bloggern. Aktuelle Diskussionen zur „Lügenpresse“ und damit verbunden zur Vertrauens- und Glaubwürdigkeitskrise münden häufig schnell in eine Diskussion über journalistische Qualität. Qualitätskriterien wie Aktualität, Relevanz und Richtigkeit gelten dabei als Mindeststandards journalistischer Arbeit. Aber sind dies bereits alle Anforderungen an journalistische Inhalte? Im Anschluss an Arnold (2009) wurde ein allgemeines und integriertes Verständnis journalistischer Qualität untersucht, deren Kriterien aus der Funktion des Journalismus (zum Beispiel Aktualität und Relevanz), aus einer normativ-demokratieorientierten Bewertung (zum Beispiel Vielfalt der Meinungen und Neutralität) sowie aus der Publikumsperspektive (zum Beispiel Unterhaltsamkeit der Inhalte) abgeleitet sind. Unser Ergebnis zeigt: Professionellen Journalisten sind die funktionalen und normativ-demokratieorientierten Qualitätskriterien (leicht) wichtiger, während Blogger die publikumsorientierten Qualitätskriterien als wichtiger bewerten. (5) Blogger sind die neuen partizipativen Journalisten. Bloggern wird vielfach eine besondere Nähe zum Publikum zugeschrieben. Daher werden Blogs auch dem partizipativen Journalismus zugeordnet. Um einen Vergleich zwischen Bloggern und professionellen Journalisten zu ermöglichen, sind in dieser Studie die konkreten Beteiligungsaktivitäten und jeweiligen Erwartungen sowohl für die Kommunikatoren als auch für die Nutzer erhoben worden. Insgesamt bestätigen die Befunde die in der Forschung bislang eher auf Vermutungen denn auf empirischen Belegen basierenden Überlegungen: Blogger investieren deutlich mehr Zeit in den Publikumskontakt, und ihnen ist die Publikumsperspektive sehr viel wichtiger. Zudem ist bei Bloggern die Distanz zwischen den eigenen Zielen und den Erwartungen des Publikums deutlich geringer als bei Journalisten: Blogger sind damit näher am Publikum als professionelle Journalisten. Zugleich bestätigt jedoch das Inklusions- beziehungsweise Beteiligungsniveau und hier vor allem das bescheidene Interesse der Nutzer an Interaktion die Befunde vieler anderer Studien: Soziale Medien ermöglichen technisch zwar einen Dialog, aber nur sehr wenige nutzen diese Möglichkeiten auch. (6) Blogger sehen PR ebenso kritisch wie Journalisten. Mit Begriffen wie Blogger Relations, Influencer Relations oder Influencer Marketing wird in der Kommunikationspraxis seit einigen Jahren das Pendant zur Media Relations beziehungsweise Pressearbeit intensiv diskutiert. In vielen Organisationen ist ein ‚Aufrüsten’ zu beobachten. In den Experteninterviews berichten einige Blogger von ihren schlechten Erfahrungen in früheren Jahren: fehlende Strategien, wahllose und unseriöse Anfragen oder sogar ein verwehrter Zugang zu Pressekonferenzen. Die meisten Blogger erkennen an, dass sich in den Organisationen vieles zum Guten verbessert habe, und sie fühlen sich in ihrer Arbeit überwiegend gewürdigt. Allerdings sind sie insgesamt, ähnlich wie Journalisten, nur mäßig zufrieden mit den PR-Bemühungen. Hinsichtlich ihrer kritischen Distanz unterscheiden sich Blogger und Journalisten nicht: Beide Gruppen bemängeln die Qualität von Pressemitteilungen und finden nicht, dass sie ihre Arbeit erleichtere. Diese Kritik teilen insbesondere Politikjournalisten, während Modeblogger PR-Angebote noch am Positivsten bewerten. (7) Journalistische Blogger sind nicht die neuen Schleichwerber. Blogger sehen sich in der Medienberichterstattung immer wieder dem Vorwurf der Schleichwerbung ausgesetzt. Dafür lassen sich leicht Beispiele finden. Die Befragung hat aber gezeigt, dass 91,6 Prozent der Blogger und 91,7 Prozent der Journalisten bezahlte Beiträge kennzeichnen – Blogger also nach eigener Aussage nicht seltener kennzeichnen als Journalisten. Hier ist sicherlich das Problem sozialer Erwünschtheit bei Befragungen zu berücksichtigen, vermutlich ist das tatsächliche Kennzeichnungsverhalten schlechter. Aber diese soziale Erwünschtheit, so ist zu erwarten, stellt sich für Journalisten und Blogger in vergleichbarer Weise dar. Das Kennzeichnungsgebot und das Verbot von Schleichwerbung ist im Journalismus eine der zentralen und klassischen Normen, so dass auch hier davon auszugehen ist, dass nicht alle Journalisten, die nicht kennzeichnen, dies in der Befragung angegeben haben. Zudem lassen Diskussionen in Fachmedien und in der Influencer-Community vermuten, dass Influencer auf anderen Plattformen wie YouTube oder Instagram seltener bezahlte Inhalte kennzeichnen als die untersuchten journalistischen Blogger. Als Einzelkämpfer stehen Blogger vor einem Inter-Rollenkonflikt (Konflikt zwischen den verschiedenen Rollen einer Person): Einerseits sind sie in ihrer Rolle als journalistische Blogger ihrem Publikum verpflichtet, andererseits versuchen sie in der Rolle als akquirierende Werbeverkäufer Einnahmen zu generieren. In unserer Studie haben sich zwei Strategien gezeigt, wie Blogger damit umgehen. Eine Präventionsstrategie ist es, wenn Blogger einen Dienstleister hinzuziehen, um diesen Inter-Rollenkonflikt erst gar nicht entstehen zu lassen. Eine Bewältigungsstrategie liegt hingegen vor, wenn viele Blogger ungefragt den Informationswert von Advertorials (Beiträge, die in der Regel erst auf den zweiten Blick als bezahlter Beitrag zu erkennen sind) betonen. Der Informationswert ist hier ein Selektionskriterium. Die Relevanz dieser Bewältigungsstrategie hat sich in der Onlinebefragung gezeigt: 93,1 Prozent der Blogger und damit deutlich mehr als Journalisten (65,7 Prozent) lehnen Anfragen grundsätzlich ab, die nicht zur inhaltlichen beziehungsweise redaktionellen Ausrichtung passen, selbst wenn sie dafür auf Werbeeinnahmen verzichten müssen. Deutlich schlechter schätzen die Nutzer das Kennzeichnungsverhalten von Bloggern und Journalisten ein. Lediglich 23,4 Prozent bescheinigen Bloggern und 50 Prozent den Journalisten, dass sie sich „voll und ganz“ oder „eher“ an die Kennzeichnungspflicht halten. Das Publikumsbild zu den Bloggern scheint hier auch geprägt zu sein von dem in den Medien gezeichneten Bild. Allerdings: Die Meinung zum Journalismus ist nur unwesentlich besser. (8) Blogger sind Journalisten ähnlicher, als den Letzteren lieb sein dürfte. Die Frage nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden lässt sich auf drei Abstraktionsebenen resümierend beantworten: Erstens gleichen Blogger Journalisten mehr, als es zu erwarten war. Die Vorstellungen zum Rollenselbstbild und zum Qualitätsverständnis sind vergleichbar, hinsichtlich ihrer Distanz zur PR und ihren Einschätzungen zur Schleichwerbung sind sogar keinerlei Unterschiede zu konstatieren. Die Unterschiede bleiben insgesamt dennoch so deutlich, dass zweitens zum Beispiel Modeblogger anderen Bloggern überwiegend ähnlicher sind als Modejournalisten. Dies hat sich zum Beispiel bei der Frage nach den Qualitätskriterien gezeigt. Zudem haben sich drittens in Teilbereichen spannende Unterschiede zwischen Bloggern und Journalisten unterschiedlicher Felder ergeben: Die größten Gemeinsamkeiten zwischen Bloggern und Journalisten eines Feldes zeigten sich beim Berichterstattungsmuster „Kritiker und Kontrolleur“, das Politikjournalisten und Politikbloggern deutlich wichtiger ist als den Blogger- und Journalisten-Kollegen anderer Felder. Dies gilt insbesondere im Vergleich zu Modebloggern und -journalisten, denen wiederum das Berichterstattungsmuster „Service und Unterhaltung“ wichtiger ist als anderen Bloggern und Journalisten. (9) Blogs sind keine ernsthafte Konkurrenz für den professionellen Journalismus. Obwohl sich Blogger und professionelle Journalisten so ähnlich sind, ist nicht zu erwarten, dass Blogs in absehbarer Zeit zu einer ernsthaften Konkurrenz für den professionellen Journalismus werden. Die Reichweiten der größten journalistischen Webangebote und Blogs zeichnen ein eindrucksvolles Bild: Die Visits beziehungsweise Zugriffe der zehn reichweitenstärksten journalistischen Webangebote zur Politik (zum Beispiel faz.net) waren im Herbst 2017 fast fünfzigmal so hoch wie die der zehn reichweitenstärksten Politikblogs (zum Beispiel netzpolitik.org). Für den politischen und tagesaktuellen Journalismus stellen Blogs damit keine ernsthafte Konkurrenz dar. Dass dies zumindest in einigen Feldern auch einmal anders aussehen könnte, zeigt die begleitende Nutzerbefragung: Jüngere Nutzer haben leicht höhere Qualitätserwartungen an Modeblogs als an den klassischen Modejournalismus. Zunächst bleibt es aber dabei: Blogs können professionellen Journalismus kaum ersetzen, sondern primär allenfalls ergänzen. Sie bilden nicht mehr und nicht weniger als ein Phänomen segmentärer Differenzierung der öffentlichen Kommunikation. Man braucht einen ziemlich engen Beobachtungshorizont, um im Positiven wie im Negativen über Blogs die entschiedenen Werturteile zu fällen, die in der öffentlichen Debatte noch immer gang und gäbe sind.deuJournalismusBlogger070Deutschlands Blogger : Die unterschätzten Journalistenbookhttps://opus4.kobv.de/opus4-bamberg/frontdoor/index/index/docId/55201urn:nbn:de:bvb:473-opus4-551021