Habres, MichaelMichaelHabres2024-04-032024-04-032024978-3-86309-984-8978-3-86309-985-5https://fis.uni-bamberg.de/handle/uniba/93595Dissertation, Otto-Friedrich-Universität Bamberg, 2022Die Arbeit befasst sich mit der Geschichte der kirchlichen Denkmalpflege im Bistum Rottenburg, wobei ein besonderer zeitlicher Fokus auf dem zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts liegt. Doch gibt bzw. gab es so etwas wie eine ‚kirchliche Denkmalpflege‘ überhaupt, eine kirchlicherseits installierte und – zumindest bis zu einem gewissen Grad – institutionalisierte Denkmalpflege, die neben der staatlichen Denkmalpflege existierte? Zumindest für die Diözese Rottenburg lässt sich diese naheliegende Frage bejahen. Denn wenn man sich mit Restaurierungsmaßnahmen beschäftigt, die in den vergangenen eineinhalb Jahrhunderten an Kirchen und Kapellen in der Diözese durchgeführt wurden, dann wird sehr schnell deutlich, dass diese bis in die 1970er Jahre hinein weit weniger von der staatlichen Denkmalpflege beeinflusst waren als vielmehr vom 1852 gegründeten und noch heute existierenden Kunstverein der Diözese. Der Kunstverein der Diözese befasste sich von Beginn an nicht nur mit zeitgenössischer kirchlicher Kunst, sondern auch mit denkmalpflegerischen Fragen. In erster Linie machte es sich der Verein hierbei laut Satzung zur Aufgabe, für die Erfassung und für die „würdige Wiederherstellung“ kirchlicher Bau- und Kunstdenkmäler Sorge zu tragen. Diesen Anspruch an den Verein und an sich selbst lösten die jeweiligen Vereinsvorsitzenden über viele Jahrzehnte lang insbesondere dadurch ein, dass sie zu anstehenden Kirchenrestaurierungen gutachterlich Stellung nahmen. Die Beteiligung des Kunstvereins durch die Pfarreien erfolgte dabei nicht etwa auf freiwilliger Basis, sondern auf der Grundlage entsprechender bischöflicher Erlasse und Verlautbarungen. Mehr als ein Jahrhundert lang besaßen die Gutachten des Kunstvereins bei Kirchenrestaurierungen häufig richtungsweisende Bedeutung, vor allem da im Bistum Rottenburg erst spät ein Diözesanbauamt (1956) und ein separates Bau- und Kunstreferat (1960) eingerichtet wurden und da Baden-Württemberg erst seit 1972 ein Denkmalschutzgesetz besaß. Die kirchliche Denkmalpflege im Bistum Rottenburg wurde somit lange Zeit maßgeblich bzw. nahezu ausschließlich vom Kunstverein der Diözese geprägt. Die über die Jahrzehnte hinweg vom Kunstverein – in aller Regel vom gerade amtierenden Vereinsvorsitzenden – zu Kirchenrestaurierungen erstellten Gutachten spiegeln die auch außerhalb der Diözese Rottenburg zu beobachtende Entwicklung der Denkmalpflege und den Wandel von Denkmaltheorien und -begrifflichkeiten eindrucksvoll wider. So standen zu Beginn der Vereinsaktivitäten die Hinwendung zu den Stilen des Mittelalters und die Ablehnung der nachmittelalterlichen Stile, insbesondere von Barock und Rokoko, im Vordergrund. Dementsprechend zielten auch die damaligen Stellungnahmen des Kunstvereins vornehmlich darauf ab, neue Kirchen in ‚gothischem‘ oder ‚romanischem‘ Stil zu errichten, mittelalterliche Kirchen stilrein zu ‚restaurieren‘ und nachmittelalterliche Kirchen mit neuromanischen oder neugotischen Ausstattungen zu versehen. Ab den 1880/90er Jahren akzeptierte der Kunstverein dann zunehmend auch Bau- und Kunstdenkmäler der Renaissance, des Barocks und Rokokos sowie des Klassizismus als grundsätzlich erhaltenswert, forderte jedoch bei Neuausstattungen nach wie vor meistens ‚mittelalterliche‘ Lösungen, ehe sich der Verein schließlich um 1900 auch bei nachmittelalterlich geprägten Kirchenräumen für Stiltreue aussprach. Erst allmählich und nach zahlreichen vereinsintern geführten Diskussionen setzte sich der Kunstverein in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts dann bei Restaurierungsmaßnahmen immer häufiger für ein Belassen des überlieferten Zustands, bei notwendigen Ergänzungen für ‚moderne‘ Lösungen und bei der Errichtung von neuen Kirchen für eine zeitgenössische Formensprache ein. Diese Entwicklung ging allerdings mit einer wachsenden, strikten Ablehnung des Historismus einher, was dazu führte, dass der Kunstverein bis in die späten 1960er Jahre hinein regelmäßig die Purifizierung von Kirchen forderte, die im 19. Jahrhundert errichtet oder neu ausgestattet worden waren. Nachdem 1960 bei der Diözese ein separates Bau- und Kunstreferat sowie eine Kunstkommission eingerichtet worden waren und das Land Baden-Württemberg 1972 ein Denkmalschutzgesetz erlassen hatte, schwand der Einfluss des Kunstvereins auf Kirchenrestaurierungen zusehends. Eine weitgehend eigenständig agierende ‚kirchliche‘ Denkmalpflege gibt es seither nicht mehr, denkmalpflegerische Belange bei der Instandsetzung von Kirchen und Kapellen werden heute nahezu ausschließlich von den laut Gesetz hierfür zuständigen staatlichen Stellen (insbesondere von den Unteren Denkmalschutzbehörden und dem Landesamt für Denkmalpflege) vertreten. In der Geschichte der Diözese Rottenburg und ihres Kunstvereins war der Vorsitzende mit dem größten Einfluss auf die kirchliche Denkmalpflege zweifellos Prälat Dr. h. c. Erich Endrich (1898-1978). Die Gründe hierfür sind vielfältig: Neben Endrichs großem persönlichen Interesse an der Denkmalpflege, seiner langen Amtszeit als Vorsitzender (1937-1978), seinen gegenüber den Vorgängern wesentlich besseren Reise- und Kommunikationsmöglichkeiten usw. spielt vor allem die Tatsache eine Rolle, dass es in den ersten Jahrzehnten seiner Amtszeit kirchlicherseits keine andere Person oder Institution gab, die sich so intensiv mit Themen der kirchlichen Denkmalpflege befasste wie er. Dementsprechend wurden die Kirchengemeinden von der Diözese auch mehrfach in Erlassen und Verlautbarungen dazu aufgefordert, bei Restaurierungsmaßnahmen den Kunstverein, explizit Pfarrer Erich Endrich, zu beteiligen. Staatlicherseits stand Endrich eine relativ schwache Denkmalpflege gegenüber, war das Landesdenkmalamt doch personell lange Zeit unterbesetzt und konnte sich zudem bis 1972 auf kein Denkmalschutzgesetz und damit auch auf keine Organisations- und Verwaltungsstrukturen stützen, wie sie heute existieren. Gleichwohl war Endrich bestens mit der staatlichen Denkmalpflege vernetzt, ebenso mit zahlreichen Restauratoren, Künstlern und Architekten sowie mit vielen Gemeinden, deren Pfarrer er aus Studienzeiten, aus dem Priesterseminar oder vom Kunstverein her kannte. Endrich, der im oberschwäbischen Bad Buchau Stadtpfarrer war und die Diözese von dort aus bereiste, wurde daher bei Kirchenrestaurierungen häufig in denkmalpflegerischen Fragen zu dem Ansprechpartner und der Entscheidungsinstanz schlechthin. Die Arbeit zeichnet die kirchliche Denkmalpflege im Bistum Rottenburg und das denkmalpflegerische Engagement des Kunstvereins während der Ära Endrich anhand von elf Kirchenrestaurierungen (Aalen/St. Salvator, Bad Buchau/St. Cornelius und Cyprian, Ehingen/Konviktskirche, Heudorf/St. Peter und Paul, Hirsau/St. Aurelius, Ingoldingen/St. Georg, Ravensburg/St. Jodok, Rottenburg/Dom St. Martin, Sießen/St. Markus, Tannheim/St. Martin und Ulm/St. Georg) nach. An den chronologisch geordneten, auf unterschiedliche Weise beispielhaften Maßnahmen wird verdeutlicht, wie die Vertreter staatlicher und kirchlicher Behörden und Institutionen zusammenarbeiteten und welche Entscheidungsprozesse, äußeren Rahmenbedingungen usw. zu teilweise ganz unterschiedlichen Restaurierungsergebnissen führten. Insbesondere jedoch wird gezeigt, wie groß Endrichs persönlicher Einfluss auf die Restaurierung zahlloser Kirchen über mehrere Jahrzehnte hinweg war. Aus heutiger Sicht ist Endrichs Tätigkeit als kirchlicher Denkmalpfleger differenziert und teilweise durchaus kritisch zu bewerten: Während er bei Bauten und Ausstattungen der Romanik, der Gotik, der Renaissance, des Barocks, des Rokokos und des Klassizismus in aller Regel großen Wert auf Substanzerhalt, restauratorische Untersuchungen, behutsame Instandsetzung usw. legte, gab er Kunstwerke und Ausstattungsstücke des 19. Jahrhunderts bis in seine letzten Lebensjahre hinein oft bedenkenlos preis, ja forderte sogar zumeist explizit ihre Entfernung aus den Kirchen. Auch wenn viele andere Denkmalpfleger inner- und außerhalb der Diözese Rottenburg bis in die 1960/70er Jahre hinein diesbezüglich ganz ähnlich handelten wie Endrich, ist es zu bedauern, dass er seinen Umgang mit dem Historismus nicht bzw. erst sehr spät selbstkritisch hinterfragte. Hiervon abgesehen bleibt es aber Erich Endrichs großer Verdienst, sich in seiner mehr als 40-jährigen Tätigkeit als Kunstvereinsvorsitzender und kirchlicher Denkmalpfleger bei der Instandsetzung von hunderten von Kirchen und Kapellen intensiv eingebracht zu haben. Nie zuvor hatte eine Einzelperson so großen Einfluss auf die kirchliche Denkmalpflege im Bistum Rottenburg wie Prälat Dr. h. c. Erich Endrich. Sowohl im positiven als bisweilen auch im negativen Sinne sieht man das Ergebnis seiner Empfehlungen, Entscheidungen und Anweisungen zahlreichen Kircheninnenräumen in der Diözese Rottenburg bis heute an. Band II enthält 370 Abbildungen und Auszüge aus 114 Schriftquellen, die den Text der Studie (Band I) ergänzen und veranschaulichen.deuDenkmalpflegeDiözese RottenburgKircheRestaurierungErich EndrichKunstverein943Kirchliche Denkmalpflege im Bistum Rottenburg : vom Dritten Reich bis zum Ende der WirtschaftswunderzeitEcclesiastical Preservation of Monuments in the Diocese of Rottenburg : from the Third Reich to the End of the Economic Miracledoctoralthesisurn:nbn:de:bvb:473-irb-935956