Zimmermann, StefanStefanZimmermann2019-09-192018-06-072018https://fis.uni-bamberg.de/handle/uniba/43555Dissertation, Otto-Friedrich-Universität Bamberg, 2018In der vorliegenden Arbeit wird insbesondere zwei Forschungsfragen nachgegangen: a) Was messen funktionale Lesekompetenztests aus kognitionspsychologischer Sicht und wie lassen sich deren Testwerte interpretieren? b) Gibt es Hinweise darauf, dass derartige Kompetenzen einen Einfluss auf die weitere berufliche Entwicklung und Orientierung haben? Zu diesen Fragen enthält die vorliegende Arbeit drei empirische Studien. Studie 1: Die theoretische und empirische Verknüpfung zwischen funktionalen Leseverstehenstests und den kognitionspsychologischen Lesekompetenzmodellen ist weitgehend ungeklärt, d. h. wir wissen zu wenig darüber, was funktionale Leseverstehenstest genau messen. Ein Ansatz besteht darin, theoretische Annahmen, welche Eigenschaften eine Leseverstehensaufgabe schwierig machen, zu explizieren und dann zu überprüfen. Diesem Ansatz wird in der ersten Studien nachgegangen und somit der Lesekompetenztest im Nationalen Bildungspanel (NEPS) konstruktvalidiert. Anhand von Schülerdaten von 13898 Schülerinnen und Schülern werden im Rahmen eines linearen logistischen Testmodells (LLTM) die Aufgabenschwierigkeiten in einem Item Response Modell durch Aufgabenmerkmale vorhergesagt. Die betrachteten Aufgabenmerkmale können in der kognitionspsychologischen Forschungsliteratur theoretisch verankert und effizient und reliabel kodiert werden, da sie computergestützt durch Methoden der Computerlinguistik gewonnen werden. In einer anschließenden Forschungsfrage wird untersucht, ob Aufgabenschwierigkeiten bei erwachsenen Lesern gleichermaßen erklärt werden können, oder ob ihre Bearbeitungsprozesse von Lesekompetenzaufgaben anders ablaufen. In beiden Analysen zeigt sich besonders deutlich der Einfluss der propositionalen Dichte sowie des verwendeten Wortschatzes auf die Aufgabenschwierigkeit. Es bleibt jedoch unklar, ob die Schwierigkeitskomponenten bei jüngeren und älteren Lesenden in gleicher Weise wirken. Studie 2: Kompetenzerhebungen sind in der Bildungsforschung ein wichtiges Thema, weil behauptet wird, dass Kompetenzdefizite z. T. gravierende Folgen für die weitere berufliche Entwicklung der Schülerinnen und Schüler haben. Insbesondere wurde die Entwicklung an den Hauptschulen kritisch beurteilt, deren Absolventen es immer schwerer fällt zeitnah nach Schulabschluss eine Ausbildungsstelle zu finden. Dieser defizitorientierte Blick auf die Hauptschule hat jedoch wesentliche Reformen bzgl. des Curriculums ignoriert: zunächst wird 1969 die Schulzeit von 8 auf 9 Jahre verlängert und später schließlich die Option des freiwilligen 10. Schuljahres geschaffen; um die Arbeitsmarktrelevanz zu steigern wurden ab 1980 das Fach Arbeitslehre und eine erste Fremdsprache eingeführt. Mit einer Ereignisanalyse wird untersucht, wie der Einstieg in die Berufsausbildung in unterschiedlichen Phasen der Hauptschule bewältigt wurde und welchen Einfluss die Schulzeitverlängerung dabei hat. Betrachtet wird die Erwachsenenkohorte des Nationalen Bildungspanels, in der 2887 Erwachsene retrospektiv zu ihrem Lebenslauf befragt wurden, die in den Jahren 1958-2004 einen Volksschul- oder Hauptschulabschluss erlangt haben. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass dem veränderten Curriculum und dem Besuch des 10. Schuljahres auf dem Ausbildungsmarkt kein Wert beigemessen wird. Vielmehr zeigt sich, dass andere Faktoren einen Einfluss auf die Übergangszeiten haben. Hierzu zu rechnen sind bspw. der demographische Wandel sowie der relative Anteil der Hauptschüler an allen Schülern, der im Rahmen der Bildungsexpansion deutlich kleiner wird. In der dritten und letzten Studie wird der Einfluss der Kompetenzen schließlich direkt auf die Berufswahl und den Ausbildungsbeginn hin analysiert. In der bisherigen Forschung konnte eine Assoziation zwischen mathematisch-naturwissenschaftliche Kompetenz und mathematisch-naturwissenschaftlichem Berufswunsch bei leistungsstarken Schülerinnen und Schülern nachgewiesen werden. Es war jedoch unklar, ob sich diese Befunde auch auf die Domäne der Lesekompetenz und ebenfalls auf die schwächeren Schülerinnen und Schüler an den Hauptschulen übertragen lassen. Die Berufswünsche und begonnenen Ausbildungen von 3449 Schülerinnen und Schülern, die entweder einen Hauptschulabschluss oder einen Realschulabschluss erlangt haben, werden untersucht und in Zusammenhang mit ihren Kompetenzen gebracht. Der Zusammenhang zwischen mathematisch-naturwissenschaftlichen Kompetenzen und mathematisch-naturwissenschaftlichem Berufswunsch lässt sich auch für die Schülerinnen und Schüler der Hauptschule replizieren. Die hier durchgeführten Analysen zeigen, dass der Zusammenhang zwischen Lesekompetenz und lesebezogenem Berufswunsch nicht gegeben ist. Es kann aber gezeigt werden, dass es einen Zusammenhang mit den tatsächlich begonnenen Berufsausbildungen gibt, die Anforderungen im sprachlichen Bereich stellen. Hier lässt sich spekulieren, dass die eigenen sprachlichen Kompetenzen im Vergleich zu den mathematisch-naturwissenschaftlichen Kompetenzen zu einem späteren Zeitpunkt im Entscheidungsprozess der Berufswahl genutzt werden. Das hat möglicherweise damit zu tun, dass das Selbstkonzept im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich bei den untersuchten Schülerinnen und Schülern deutlich heterogener ausgeprägt ist. Insgesamt sprechen die Ergebnisse für einen geringen Einfluss der Kompetenzen auf die berufliche Bildung. In der abschließenden Diskussion wird der Frage nachgegangen, welche Faktoren die Größe dieses Zusammenhanges möglicherweise moderieren und wie neue methodische Entwicklungen der Kompetenzmodellierung bei der Interpretation von Kompetenzdaten in Large-Scale-Assessments helfen können.deuLesekompetenzLarge-Scale-AssessmentsEmpirische BildungsforschungKonstruktvalidierungBerufswahl370Lesekompetenz, curriculare Veränderungen und Übergang in die Berufsausbildung : Untersuchungen mit Daten des Nationalen Bildungspanelsdoctoralthesisurn:nbn:de:bvb:473-opus4-516706