Jungert, MichaelMichaelJungert2019-09-192007-01-222006https://fis.uni-bamberg.de/handle/uniba/100Bamberg, Univ., Magisterarbeit, 2006Ausgangspunkt der Arbeit ist die Feststellung, dass teleologische Kategorien wie etwa Zwecke, Ziele oder Absichten in der modernen Biologie mit ihrem streng kausal-deterministischen Weltbild zwar eigentlich keinen Platz mehr haben, die mit ihnen verbundenen Begriffe und Ideen jedoch keineswegs verschwunden sind. Beinahe selbstverständlich spricht man beispielsweise von der Funktion des Herzens, Blut zu pumpen oder der Aufgabe von Enzymen, als Katalysatoren bei Stoffumwandlungen zu fungieren. Diese Redeweise unterscheidet die Biologie erheblich von anderen Naturwissenschaften, vor allem der Physik, die kaum teleologische Begriffe und Denkmuster zu benötigen scheint. Diese Beobachtung legt den Verdacht nahe, dass man sich speziell im Bereich des Organischen nicht ohne weiteres von teleologischen Kategorien zu trennen vermag. Die Arbeit stellt daher die Frage, ob teleologisches Denken eine notwendige Bedingung für die Betrachtung der Gegenstände der Biologie darstellt und welche Konzepte in Frage kommen, um dem dabei auftretenden Widerspruch zwischen naturwissenschaftlichem Wirkursachen-denken und geisteswissenschaftlichem Zweckursachendenken zu begegnen. Bereits bei Immanuel Kant finden sich wichtige Gedanken, die diese "Deutungspraxis" des Menschen näher untersuchen. Er legt zunächst dar, dass "äußere Zweckmäßigkeit", wie sie etwa in der Aussagen "Weizen wächst, um den Menschen zu ernähren" vorkommt, nichts über die innere Verfasstheit eines Organismus aussagt, sondern lediglich ausgewählte Eigenschaften in Bezug zu bestimmten Bedürfnissen setzt und daher bestenfalls als relative oder hypothetische Zweckmäßigkeit angesehen werden kann. Dagegen können wir Dingen dann eine "innere Zweckmäßigkeit" zusprechen, wenn wir sie nur aufgrund der Zweckmäßigkeit ihrer selbst bzw. ihrer Teile analysieren können. Solche "Naturzwecke", so der Gedanke, können ohne Bezugnahme auf einen Zweck nicht verstanden werden. Dieser Zweck bedarf allerdings keiner externen Instanz, sondern konstituiert sich durch ein internes zirkuläres Netzwerk von Mittel-Zweck-Relationen. Durch diese Unterscheidung ergibt sich eine plausible Skizze des biologischen Gegenstandsbereichs. In der Diskussion der letzten Jahrzehnte wurde der Funktionsbegriff zum zentralen Gegenstand vieler Theorien, die durch diesen Begriff und Konzept der Teleologie zu ersetzen versuchen. Die Arbeit untersucht die wichtigsten Funktionstheorien von Robert Cummins, Ruth G. Millikan und Daniel Walsh. Allen gemein ist der Vorsatz, durch den scheinbar unproblematischen Funktionsbegriff den metaphysischen Schwierigkeiten teleologischer Ansätze zu entgehen. Bei genauer Analyse zeigt sich jedoch, dass jeder dieser Versuche selbst mit schwerwiegenden Problemen behaftet ist. Cummins meint, mit einer funktionalen Erklärung der prekären "Warum gibt es x?"-Frage zu entgehen, insofern diese sich nur mit dem Beitrag von Teilen zum Ganzen befasst, ohne Existenzbegründungen liefern zu müssen. Funktionen sind nach seiner Auffassung keine ontologischen Größen oder natürlichen Gegebenheiten, sondern haben primär mit der Fokussierung von Forschungsinteressen zu tun. Funktionen bekommen ihren Status als solche nur dann, wenn sie eine wichtige Rolle bei dem zu betrachtenden Ausschnitt der jeweiligen wissenschaftlichen Untersuchung spielen. Der gleiche Gegenstand kann zugleich, etwa aus physikalischer Sicht, als Geflecht nebeneinander laufender kausaler Prozesse und als geordnete Ganzheit miteinander interagierender Komponenten aus Sicht des Biologen gesehen werden. In der Arbeit wird jedoch gezeigt, dass Cummins' Ansatz mit verschiedenen Problemen behaftet ist. Als größte Schwierigkeit ist die unangemessene Weite seines Funktionsbegriffs zu nennen. Die Minimalkriterien der Komplexität und qualitativen Verschiedenheit wirkender Kräfte treffen z.B. auch auf Störungen und Krankheiten eines organischen Systems zu. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass der Theorie Abgrenzungskriterien fehlen, die eine stark contraintuitive Funktionszuschreibung an beinahe Alles verhindern und eine Unterscheidung zwischen Funktionen und dem, was zumeist als Nebeneffekt oder Fehlfunktion bezeichnet wird, ermöglichen. Durch eine Analyse systemtheoretischer Konzepte wird gezeigt, dass diese zwar auf wichtige Aspekte, wie etwa den hierarchischen Aufbau und spezifische Strukturen autopoietischer Strukturen verweisen. Allerdings wird auch klar, dass Versuche der Eliminierung teleologischer Momente, wie etwa bei Varela und Maturana, nur zu einer Verschiebung der Teleologie in die menschliche Wahrnehmung führen, wie dies bereits bei Kants Konzeption der Teleologie als regulative Idee der Fall war. Es bleibt also festzuhalten, dass bei dato keine überzeugenden Ansätze vorliegen, die die teleologische Betrachtungsweise von Organismen vollständig zu eliminieren vermögen, ohne dabei zentrale Aspekte zu verlieren, die sowohl unserem allgemeinen Verständnis von Organismen, als auch dem speziellen Gegenstandsbereich der Biologie zugrunde liegen. Als Wissenschaft vom Leben bedarf sie der der teleologischen Bezugnahme auf die Einheit besonderer natürlicher Gegenstände, um diese als besondere Form von Naturdingen auszuzeichnen und damit erst ihren Untersuchungsgegenstand zu gewinnen. Zumindest im Sinn einer erkenntnistheoretischen Priorität ist die teleologische Betrachtung damit unstrittig existent und relevant für das Erfassen und Beschreiben von Organismen.The starting point of the thesis consists in the observation that teleological categories and concepts like purpose, aim, and intention, although lacking any space in modern biology and its deterministic physical world view, are still existent and frequently used in the context of biological theories. It seems almost naturally to talk about pumping blood as the function of the heart or the task of an enzyme to act as a catalyst. By the use of this mode of speaking biology differs fundamentally from other natural sciences like physics, where a teleological concept doesn’t seem to be needed. This observation suggests that in the field of biology with its focus on the complex structures of life a separation from teleological thinking is complicated or even impossible. The thesis therefore raises the questions, whether teleological thinking represents a sine qua non for the analysis of biological objects and which concepts are suitable for challenging the antagonism of final causes and physical determinism, which also represents one of the main differences between natural sciences and the humanities. Looking at the work of Immanuel Kant one can find important thoughts about the nature of teleology. He shows that external purposiveness of nature ("äußere Zweckmäßigkeit"), as we can find it in statements like "Wheat is growing in order to nourish humans", doesn’t reveal anything about the inner states of an organism, but merely correlates selected attributes with specific needs. Therefore this kind of purposiveness can only be seen as relative or hypothetical. In contrast we can ascribe internal purposiveness ("innere Zweckmäßigkeit") to something, if it can be analysed only by considering the purposiveness of itself respectively of its parts. Such natural purposes ("Naturzwecke") cannot be understood without reference to a purpose. This kind of purpose, however, refers to no external instance, but is constituted by a circulating network of purpose-means-relations. This distinction results in a reasonable trait of the field of biology. Even if biological analysis is restricted to small parts of a system, the proper question and ambition always refer to the relation of the parts of a system. On this evidence internal purposiveness is indeed no ontologically real determinant of causal processes in nature, but as particular epistemic principle it is constitutive for the human perception of organisms. Teleological analysis doesn't explain the biological object, but generates the area of biological inquiry, of which we wouldn't even have a concept without it. Therefore teleological concepts do not compete with causal explanations. In fact they are the epistemic foundation of every scientific analysis in the field of biology. In the last decades the concept of function became the central object of neo-teleological theories, which try to substitute teleology by function. The thesis investigates the most important theories of function by Robert Cummins, Ruth G. Millikan and Daniel Walsh. Their common aim is to avoid the metaphysical problems of teleology by replacing it with the apparently unproblematic concept of function. An accurate analysis, however, shows that each of these theories has its own fundamental problems. Cummins theory of function seeks to avoid the tricky "Why is x there?"-questions by exclusively analysing the contribution of parts to the system as a whole. In his view functions are no ontological parameters or natural facts but mainly deal with certain interests of research. Although this point of view per se would be plausible, the wideness of the theory makes it problematic. The minimal criteria of complexity and qualitative difference for example may also apply to disorders or diseases of an organic system. The theory lacks criteria of distinction, which could avoid the possible ascription of functions to almost everything and allows distinguishing between real functions and side effects or dysfunctions. Furthermore Cummins´ theory is not able to specify the particular structures of organic processes which differ dramatically in many aspects from non-organic things. The "theory of proper functions" by Ruth G. Millikan is another object of the thesis. She tries to create an evolution-based theory of function, which is meant to be the foundation of a naturalistic epistemology. Millikan ties the concept of function to the concept of reproduction. According to it attributes respectively organs are only functional if they had already been existent in former generations, fulfil certain tasks in the system and thereby foster the reproduction and continuity of the respective organism. This theory, however, also faces some fundamental problems. For instance, the concentration on structural similarity impedes to characterize the biological phenomenon, that often very different structures in different organisms perform the same task. In the course of the thesis it becomes apparent, that the theory of evolution can not be the exclusive foundation of a functional explanation, because the reference to fitness and adaptation cannot capture the aspect of (current) performance, which is needed as a standard of comparison. Finally, a look at some concepts of the systems-theory shows, that indeed some important aspects like the hierarchical organization and the specific structures of autopoietic systems are included. It also becomes clear, however, that attempts of elimination of teleology, for example by Maturana and Varela, only lead to an adjustment of teleology to the field of human perception, as had already been demonstrated by Kant. In summary it can be ascertained, that so far no convincing theory exists, which is able to completely eliminate teleological concepts in biological analysis without loosing fundamental aspects. As science of the living biology requires a teleological reference to the unity of a special class of natural objects to distinguish them in order to gain their special object of investigation. At least on this note of an epistemic priority teleology is existent and relevant for the conception and description of organisms.deuPhilosophie der Biologie, Kant, Immanuel / Kritik der Urteilskraft / Kritik der teleologischen Urteilskraft , Organismus , Zweck , Biologie , FunktionAutopoiese , Aristoteles , Kant, Immanuel , Whitehead, Alfred NorthPhilosophie der BiologieKant, Immanuel / Kritik der Urteilskraft / Kritik der teleologischen UrteilskraftOrganismusZweckBiologieFunktionAutopoieseAristotelesKant, ImmanuelWhitehead, Alfred North100Welchen Zweck soll das haben? : Untersuchungen zu teleologischen und funktionalen Erklärungsansätzen in Philosophie und BiologiePurpose, Aim and Function - Studies on Teleological and Functional Analysis in Philosophy and Biologymasterthesisurn:nbn:de:bvb:473-opus-1068